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5. September 2019 – UBS Thema im Fokus

Chaostage in London

Keine erkennbaren Fortschritte sind bei den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU zu erkennen. Stattdessen überschlagen sich in London die Ereignisse: Laut dem Fernsehsender BBC („’Get ready for Brexit‘ advertising campaign launches“ veröffentlicht am 02.09.2019) startete die Regierung noch Anfang der Woche für 100 Millionen Pfund eine Werbekampagne, um die Bevölkerung auf den EU-Austritt vorzubereiten. Doch nun scheint gar nicht klar zu sein, ob es am 31. Oktober überhaupt zu einem EU-Austritt kommt. Denn am Dienstagabend stimmte das britische Parlament mit 328 zu 301 Stimmen dafür, die Abstimmung über einen Gesetzentwurf zu einer möglichen Brexit-Verlängerung auf die Tagesordnung zu bringen.

Wichtiger Etappensieg der Johnson-Gegner

Damit votierten auch 21 Abgeordnete der regierenden Tory-Partei gegen die von Johnson vorgegebene Parteilinie, am EU-Ausstieg Ende Oktober unter allen Umständen festzuhalten. In einer ersten Reaktion schloss Johnson Abweichler, wie er im Vorfeld angekündigt hatte, von der Partei aus. Das Anti-No-Deal-Gesetz passierte am Mittwochabend das Unterhaus sogar mit 327 zu 299 Stimmen. Der Antrag Johnsons auf Neuwahlen am 15. Oktober erhielt hingegen nicht die nötige Zweidrittelmehrheit. Nun muss das Gesetz noch von der Queen unterschrieben werden und vom Oberhaus genehmigt werden. Die Aussicht, einen ungeregelten Brexit zu umgehen, ließ das britische Pfund zuletzt wieder auf über 1,22 US-Dollar steigen, nachdem es noch am Dienstag zwischenzeitlich unter 1,197 US-Dollar gefallen war.

Britische Wirtschaft schrumpft

Die geopolitischen Unsicherheiten scheinen die britische Wirtschaft dennoch zu belasten: Der von IHS Markit erhobene Einkaufsmanagerindex (PMI) der verarbeitenden Industrie sank im August den vierten Monat in Folge auf zuletzt 47,4 Punkte, was den niedrigsten Stand seit Juli 2012 darstellt. Nach einer Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft KPMG könnte zudem der britische Immobilienmarkt bei einem Brexit ohne Austrittsvereinbarung kollabieren. Demnach dürften die Immobilienpreise im kommenden Jahr landesweit um durchschnittlich 1,3 Prozent steigen, wenn man mit der EU noch ein Austrittsabkommen aushandeln könnte. Ohne Abkommen erwarten die Marktexperten hingegen einen Preisrückgang zwischen 5,4 und 7,5 Prozent, wobei sie auch einen Rückgang zwischen zehn und 20 Prozent ausdrücklich nicht ausschließen.

EU stellt Finanzhilfen in Aussicht

Obwohl Johnson die Mehrheit im Parlament verloren hat, bleibt er für die EU bis auf weiteres erster Ansprechpartner. So oder so bereitet sich die EU für einen Austritt Großbritanniens ohne Abkommen vor und stellt Mitgliedsstaaten, Unternehmen und Arbeitnehmern, die vom Brexit betroffen sind, Finanzhilfen von bis zu 780 Millionen Euro in Aussicht. Darüber hinaus soll es für bestimmte Wirtschaftsbereiche wie Fischerei und Landwirtschaft weitere Hilfen geben, will das Magazins Der Spiegel („EU stellt Hunderte Millionen Euro Hilfe bereit“ veröffentlicht am 04.09.2019) aus Kommissionskreisen erfahren haben. Ob die Aussicht auf diese Hilfen für die relative Stärke von Aktien aus dem Euroraum gegenüber britischen Dividendenpapieren verantwortlich ist, kann nicht beurteilt werden: In jedem Fall legte der FTSE 100 Index am Mittwoch gegenüber dem Vortagesschluss um 0,6 Prozent zu, während der Euro STOXX 50 Index sogar 0,9 Prozent an Boden gutmachte.

Regierungsbildung in Italien

Es könnte aber auch daran liegen, dass der politische Herbststurm an Rom vorbeizuziehen scheint, wie einschlägige Medien wie z.B. die tagesschau.de („Fünf-Sterne-Mitglieder für neue Koalition“ veröffentlicht am 03.09.2019) berichten. Dabei hat sich der bisherige Innenminister Matteo Salvini von der europakritischen Lega-Partei verkalkuliert. Anstatt Neuwahlen, die er mit dem von ihm herbeigeführten Koalitionsbruch in Hoffnung auf einen eigenen Wahlsieg provozierte, zeichnet sich die Bildung einer neuen Regierung mit dem alten Ministerpräsident Giuseppe Conte ab. Bei einer Online-Befragung stimmte eine breite Mehrheit der Fünf-Sterne-Bewegung für ein Bündnis mit den bislang oppositionellen Sozialdemokraten. Conte stellte Staatschef Sergio Mattarella bereits sein neues Kabinett vor, das am morgigen Donnerstag vereidigt werden soll. Anschließend steht noch die Zustimmung beider Parlamentskammern aus. Der italienische Aktienmarkt reagierte mit einem Freudensprung: Der FTSE MIB Index legte am Mittwoch gegenüber dem Vortagesschluss um 1,6 Prozent zu.

Peking will gegenlenken

Auch die chinesische Wirtschaft schrumpft zum vierten Mal in Folge: Das Statistikamt der Volksrepublik teilte am Samstag mit, dass der Einkaufsmanager-Index der verarbeitenden Industrie im August im Vergleich zum Vormonat um weitere 0,2 Prozentpunkte auf nunmehr 49,5 Punkte gefallen ist. Damit rutscht der Index tiefer unter die wichtige Marke von 50 Punkten, oberhalb der Wirtschaftswachstum angezeigt wird. Peking will mit staatlichen Anreizen gegenlenken, wie unter anderem die Wirtschaftswoche („China will Wirtschaft mit Investitionen und Reformen stützen“ veröffentlicht am 01.09.2019) berichtet. Der Staatsrat teilte demnach am Sonntag mit, in Infrastrukturprojekte und in die regionale Entwicklung investieren zu wollen. Gleichzeitig sollen Steuer-, Finanz- und Geldpolitik besser aufeinander abgestimmt werden.

FTSE MIB Index (Punkte) 5 Jahre

* Frühere Wertentwicklungen sind keine verlässliche Indikation für die zukünftige Wertentwicklung. (Quelle: Bloomberg, Stand: 04.09.2019)

Ausgewählte Termine der anstehenden Woche

Datum Land/Unternehmen Termin
6. Sep. 19 Japan Haushaltsausgaben
6. Sep. 19 Eurozone Bruttoinlandsprodukt
6. Sep. 19 Deutschland Industrieproduktion
6. Sep. 19 USA Arbeitslosenquote
6. Sep. 19 USA Durchschnittliche Stundenlöhne
6. Sep. 19 USA FED – Powell Rede
8. Sep. 19 China Handelsbilanz (Exporte/Importe)
9. Sep. 19 Japan Bruttoinlandsprodukt
9. Sep. 19 Deutschland Handelsbilanz
9. Sep. 19 Großbritannien Bruttoinlandsprodukt
9. Sep. 19 Großbritannien NS verarbeitendes Gewerbe
9. Sep. 19 Großbritannien Industrieproduktion
10. Sep 19 China Verbraucherpreisindex
10. Sep 19 China Erzeugerpreisindex
10. Sep 19 Großbritannien Durchschnittseinkommen
10. Sep 19 Großbritannien ILO Arbeitslosenquote
11. Sep 19 USA Erzeugerpreisindex
12. Sep 19 Japan Maschinenbestellungen
12. Sep 19 China FDI Direktinvestitionen im Ausland
12. Sep 19 Deutschland Harmonisierter Verbraucherpreisindex
12. Sep 19 Eurozone Industrieproduktion
12. Sep 19 Eurozone EZB Leitzinssatzentscheidung
12. Sep 19 Eurozone EZB Einlagenzins für Banken
12. Sep 19 USA Verbraucherpreisinde ohne Nahrungsmittel und Energie
12. Sep 19 USA Monatliches Budget-Statement

(Quelle: finanzen.net, Stand: 04.09.2019)

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